Mit 42 Jahren ist Michael Fink noch immer in bestechender Form. Als Spielertrainer steht der frühere Mittelfeldspieler beim FC Gießen aktuell noch in der Regionalliga Süd auf dem Feld, mittlerweile allerdings als Verteidiger. Mit seiner Familie wohnt er im Rhein-Main-Gebiet vor den Toren Frankfurts und verfolgt die Eintracht noch immer mit großem Interesse. In der Saison 2006/07 spielte er für die SGE im UEFA-Cup, einige Jahre später war er bei Besiktas Teil der "German Wall", die in Manchester das sagenumwobene Theater der Träume (Old Trafford) eroberte. Auf seine Zeit in Istanbul blickt er positiv zurück, noch heute wird er von Fans am Flughafen erkannt, obwohl seine Zeit bei Besiktas nur eineinhalb Jahre währte.
Sie spielten von 2006 bis 2009 für die Eintracht. Warum wagten Sie anschließend das Abenteuer Istanbul, Herr Fink?
Europa League, 2. Spieltag
Es gab damals mehrere Anfragen, weil mein Vertrag auslief. Mein erster Ansprechpartner war die Eintracht, aber wir kamen nicht überein. Heribert Bruchhagen war ja für seine Sparsamkeit bekannt. (schmunzelt). Außerdem wollte ich den nächsten Schritt machen und in der Champions League spielen. Davon träumt schließlich jeder Fußballer. Ein halbes Jahr vor mir war bereits Fabian Ernst von Werder Bremen zu Besiktas gewechselt und Meister geworden. Da war klar, dass sie in der Champions League dabei sind. Das Gesamtpaket stimmte, sodass meine Frau und ich den Schritt wagten, unser Sohn war noch nicht auf der Welt.
Erlebten Sie erst mal einen Kulturschock?
Alle Vorurteile lösten sich schnell in Luft auf. Wenn man die deutsche Mentalität und Pünktlichkeit kennt, muss man sich in der Türkei schon etwas umstellen. Dort geht es ein bisschen chaotischer, aber auch lockerer zu. Auch im Fußball hatte ich anfangs kleinere Probleme. Die Offensivspieler machten vorne einfach ihr Ding, die Defensive mussten wir regeln. Aus der Bundesliga war ich es gewohnt, dass alle elf Spieler in die Abwehrarbeit eingebunden sind. Aber ich passte mich schnell an. Die Gastfreundschaft der Leute in und außerhalb des Fußballs ist unglaublich beeindruckend.
Wie äußerte sich die Gastfreundschaft im Alltag?
Zum Beispiel im Restaurant. Ich ging mit meiner Frau gerne in ein Fischlokal direkt am Bosporus. Die Inhaber besaßen ein Bötchen und luden uns öfter einfach mal so auf eine kleine Schiffstour ein. In Deutschland würde man dafür Geld verlangen, in der Türkei gehört so etwas zur Gastfreundschaft dazu.
An welche sportlichen Höhepunkte denken Sie besonders gerne zurück?
An mein Tor im Derby gegen Fenerbahce. Wir gewannen 3:0. Danach war es für mich zwei Wochen lang fast unmöglich, in die Stadt zu gehen. In Deutschland kommt vielleicht mal ein Fan und fragt, ob er ein Autogramm bekommen kann. Das ist in Istanbul ganz anders, da rennen alle auf dich zu, küssen dich links und rechts, machen ein Foto und rufen alle Leute in der Nähe herbei: "Guckt mal, hier ist der Fink!" Da kann man keine fünf Meter am Stück normal gehen. Das ist schön, aber auch anstrengend. Selbst im Restaurant stürzten sich alle auf mich, sodass meine Frau leider ein bisschen außen vor blieb. Wir konnten uns nicht einfach mal zu zweit gemütlich hinsetzen und unterhalten.
Dann beschlossen Sie, in einem Derby lieber kein Tor mehr zu schießen?
Nein, ich hätte gerne schon noch mehr Tore geschossen. (lacht) Diese Lockerheit ist Fluch und Segen zugleich. Aber ich habe mich an diese Normalität gewöhnt und finde sie teilweise angenehmer als die eher zurückhaltende Art in Deutschland. Wenn man hier in die Bahn steigt, gucken 20 Leute grimmig. In der Türkei sind die Menschen glücklich und lachen, die Lebensfreude ist viel größer. Viele leben in kleinen Wohnungen, doch dann treffen sich die Leute eben im Park und grillen zusammen. Da ist jeder eingeladen und willkommen. In Deutschland muss man sich drei Wochen vorher anmelden, wenn man mal zusammen einen Kaffee trinken will. Die Türken sind sehr offen, das ist echt cool.
Ihre Schilderungen lassen darauf schließen, dass Sie sich in Istanbul rasch heimisch fühlten.
Ja, definitiv. Wir fühlten uns sehr, sehr wohl. Wir hatten nie das Gefühl, das wir allein sind, obwohl wir ja eigentlich allein waren. Aber es gab immer jemanden, mit dem wir etwas unternehmen konnten. Oder wir gingen einfach zu den Nachbarn rüber.

Michael Fink (#5) während des Champions-League-Spiels bei Manchester United. imago sportfotodienst
Über Ihr Tor gegen Fenerbahce haben wir bereits gesprochen. An welches Highlight denken Sie noch gerne zurück?
An unseren 1:0-Sieg in der Champions League im Old Trafford gegen Manchester United. Das war ein richtiges Erlebnis, ich hatte sogar noch Pech bei einem Pfostenschuss. Bei Manchester spielten brutale Stars, unter anderem bekam ich es mit Michael Owen zu tun. Ich lief mit Fabian Ernst im defensiven Mittefeld auf, und nach dem Spiel tauften uns die Zeitungen "The German Wall". Das ist schon ein cooles Erlebnis gewesen. Auch unser Champions-League-Spiel in Wolfsburg war ein Höhepunkt, und das nicht nur, weil es gegen eine deutsche Mannschaft ging. 70 Prozent der Zuschauer im Stadion waren Besiktas-Fans, das war krass.
Ausgerechnet unter dem deutschen Trainer Bernd Schuster lief es im zweiten Jahr nicht mehr so gut. Weshalb?
Ganz genau kann ich das gar nicht sagen. Aber als er 2010 kam, brachte er sechs oder sieben Spieler aus Spanien und Portugal mit. Wir waren neun oder zehn Ausländer im Kader, doch am Spieltag durften laut Reglement nur fünf im Kader stehen. Natürlich entschied sich Schuster eher für die Spieler, die er neu dazugeholt hatte. Gefühlt war er auch eher Spanier als Deutscher, selbst seine Ansprachen vor der Mannschaft hielt er auf Spanisch. Ich versuchte es ein halbes Jahr, kam aber nur auf einige Kurzeinsätze und Spiele im Pokal. Deshalb entschied ich mich in der Winterpause, auf Leihbasis nach Gladbach zu wechseln.
In der darauffolgenden Saison waren Sie Stammspieler bei Samsunspor. Wie gefiel es Ihnen dort?
Das war eigentlich ebenfalls eine coole Zeit. Samsun ist eine kleinere Stadt, die direkt am Schwarzen Meer liegt. Es ist sehr schön dort, und wir fühlten uns schnell sehr wohl. Mit Aristide Bancé, Selim Teber und Theofanis Gekas spielte ich auch mit einigen aus der Bundesliga bekannten Spielern zusammen. Doch leider stiegen wir am Ende ab. Wir hätten am letzten Spieltag gewinnen müssen, ich schoss gegen Sivasspor sogar das 1:0, doch am Ende verloren wir 1:2. Danach ging es im Verein drunter und drüber, die Gehälter kamen nicht mehr.
Wieso waren Sie anschließend vereinslos, bis Sie im Winter bei Erzgebirge Aue anheuerten?
Ich wäre gerne in der Türkei geblieben und hatte auch zwei Angebote aus der 1. Liga. Doch mein damaliger Berater verdaddelte es leider, weil er für sich noch mehr Provision herausholen wollte. Schlussendlich sprangen die Vereine ab. Ich hatte mich darauf verlassen, dass das klappt. Danach war es schwierig für mich. Ich hatte noch ein Probetraining bei den Glasgow Rangers, doch die hätten noch einen Spieler abgeben müssen, um mich holen zu können. Daran scheiterte der Wechsel eine halbe Stunde vor Transferschluss. Es war schwierig, danach einen Klub zu finden, ich wollte auch nicht alles machen. Im Dezember wechselte ich zu Erzgebirge Aue.
Zurück zur Türkei. Dort kochen die Emotionen im Fußball im Positiven wie im Negativen sehr schnell hoch. Wie erlebten Sie als Spieler den Druck?
Das ist schon anders. In Deutschland spürt man bei schlechten Leistungen während des Spiels und nach dem Abpfiff die Unzufriedenheit im Stadion, in der Türkei auch im Privatleben. Einmal mussten wir nach einer Derbyniederlage im Trainingszentrum übernachten, wo unsere Autos standen. Die Polizei ließ uns nicht mehr nach Hause fahren, weil Fans das Gelände belagerten. Da macht man sich schon ein paar Gedanken. Meine Gesundheit ist mehr wert als ein Fußballspiel. Persönlich hatte ich zum Glück nie Probleme. Bei einigen Mitspielern sah das schon anders aus. Bei Bancé standen mal Fans vor der Haustür, klopften, klingelten und brüllten. Das war nicht mehr lustig.
Finks CL-Einsätze
Noch im alten Stadion stellte Besiktas 2013 mit einer Lautstärke von 141 Dezibel einen Weltrekord auf. Worauf muss sich die Eintracht in diesem Hexenkessel gefasst machen?
Die Atmosphäre ist unglaublich. Es gibt nicht nur einen Ultra-Block, eine Fankurve, die singt. In der Türkei brüllt das ganze Stadion. Teilweise war auf der Haupttribüne mehr los als im Block, so emotional gingen die Fans mit. Die Türken lieben es auch, den Gegner bei jedem Ballkontakt auszupfeifen. Gegen Manchester United ging das 90 Minuten lang so, danach hatte ich ein Pfeifen im Ohr. Das kann jetzt natürlich auch gegen die Eintracht passieren.
Wie schätzen Sie die Kräfteverhältnisse auf dem Platz ein?
In Frankfurt wäre es ein 60:40-Spiel, in Istanbul sehe ich die Chancen ausgeglichen. Wenn es der Eintracht gelingt, diesen Hexenkessel zu beruhigen, indem sie viele Chancen hat oder ein Tor erzielt, hat sie eine sehr große Möglichkeit, dort zu gewinnen. Falls es in die andere Richtung läuft, wird es umso schwieriger, weil es dann noch lauter und extremer wird.
Was macht die Eintracht in dieser Saison bislang so stark?
In erster Linie das Offensivspiel, da ist die Eintracht definitiv besser als in der vergangenen Saison. Omar Marmoush und Hugo Ekitiké sind zwei Juwelen, die den Fans mit ihrer Spielweise und ihren Toren Freude bereiten. Vor allem bei Marmoush sehe ich die Möglichkeit, seine Karriere noch weiter voranzutreiben. Ekitiké ist ab und zu noch etwas zu verspielt und muss lernen, manche Situationen einfacher lösen. Für seiner Größe und Statur hat er allerdings eine unglaubliche Geschwindigkeit und Technik, das zeichnet ihn aus. Im Zusammenspiel machen sie es bislang hervorragend. Hinten kassierte die Mannschaft in den vergangenen beiden Spielen gegen Pilsen und Kiel aber zu einfache Gegentore.
Haben Sie einen Insider-Tipp für Fans, die in Istanbul vor Ort sind?
Es gibt in Istanbul sehr viel zu sehen. Definitiv empfehlen würde ich, in eines der Restaurants oder Cafés am Bosporus zu gehen. Die Aussicht ist sehr schön, auch nachts mit der beleuchteten Brücke. Wenn man direkt am Wasser sitzt und seinen Tee schlürft, ist das schon ein Highlight.
Ist es für die Fans gefährlich in der Stadt?
Wer sich normal und freundlich verhält, bekommt wahrscheinlich keine Probleme. Es gibt keinen Hass gegen Deutsche oder gegen deutsche Vereine. Das beschränkt sich auf die 90 Minuten im Stadion. Außerdem sind beide Vereine Adlerträger (Besiktas hat den Spitznamen Schwarze Adler, Anm. d. Red.), ich rechne nicht mit Schwierigkeiten.