Zwangsläufige Vergleiche mit der erst in Paris mit 43 Jahren abgetretenen Ikone Timo Boll oder gar Hoffnungen auf eine ähnlich prägende Ära weist die längst nicht einmal halb so alte Annett Kaufmann überraschend eloquent und abgeklärt zurück. "Ich würde nicht so schnell von Timo sprechen", meinte die 18-Jährige vor der am 15. Oktober beginnenden Individual-EM im österreichischen Linz, "Timo hat viel erreicht, und das über so viele Jahre. Ich will erst einmal nur meinen Weg gehen - und wenn ich am Ende auch so gut dastehe wie er, dann kann man von mir aus ruhig sagen, dass ich die neue Timo Boll war."
Eine solche Perspektive ist der "echten" Annett Kaufmann anscheinend geradezu vorbestimmt gewesen. Ihr Vater war Eishockey-Profi und ihre Mutter eine alpine Ski-Weltcupstarterin, und geboren wurde die heutige Senkrechtstarterin 2006 in Wolfsburg in das "Sommermärchen" der Fußball-WM in Deutschland hinein.
Die Zukunft des deutschen Tischtennis?
Zum Glück für den Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) fand sie abseits familiärer Prägungen vor ihrem fünften Geburtstag den Weg an die Platte. Schnell war die ebenso quirlige wie trainingsfleißige Linkshänderin ihren Altersklassen stets voraus: 2021 etwa gewann sie mit erst 15 Jahren schon EM-Gold bei den U-21-Juniorinnen und gab noch im selben Jahr bei der Erwachsenen-EM in Rumänien beim Titelgewinn der DTTB-Damen ihr Debüt in der Nationalmannschaft. "Annett", fasste Bundestrainerin Tamara Boros schon damals sichtlich angetan das große Talent ihres "Kükens" prägnant zusammen, "Annett ist die Zukunft."
Sie ist ein Wunder.
Nationalmannschafts-Kollegin Xiaona Shan über Kaufmann
Diese Zukunft hat bereits begonnen - in der Gegenwart legt Kaufmann einen konstant rasanten Aufstieg hin. Ihre Nationalmannschafts-Kollegin Xiaona Shan wusste sich für die angemessene Einordnung der Olympia-Gala des groß gewachsenen Blondschopfes nur mit dem Griff ins entsprechend hohe Regal zu helfen. "Sie ist ein Wunder", sagte die frühere Vize-Europameisterin in Anbetracht dessen, dass der Teenager in Paris eine Top-10-Spielerin sowie vier Kontrahentinnen aus dem Kreis der besten 20 bis 40 bezwingen konnte.
Für Kaufmann hingegen sind Unbekümmertheit und Gelassenheit nur eines: selbstverständlich. "Das ist meine Art. Ich gehe selbstbewusst an den Tisch und denke mir: Egal, wer da steht - ich kann, was ich kann. Wenn ich mit Angst in ein Spiel gehen würde, könnte ich der Gegnerin auch direkt die Hand zum Abschenken schütteln."

"Die Zukunft" des deutschen Tischtennis? Annett Kaufmann. IMAGO/Schreyer
Kaufmanns Jahr 2024? "Mehr ging eigentlich nicht"
Hände geschüttelt aber hat die neue Hoffnungsträgerin allein in diesem Jahr trotzdem schon reichlich - in aller Regel von Gratulanten. Erst bestand Kaufmann das Abitur mit einer guten 2,0, gewann kurz danach bei der Deutschen Meisterschaft in Erfurt gleich in Einzel und Doppel ihre ersten Titel bei den "Großen", rückte zunächst als Ersatz ins Olympia-Team, kam dann in Paris - allerdings durch Verletzungspech von Mitspielerinnen - zu ihrer Premiere bei Sommerspielen und nutzte die Chance prompt durch eine konstant famose Leistung. "Mehr ging bisher eigentlich nicht", meint der Shootingstar selbst zum bisherigen Verlauf des Jahres 2024.
Dabei will Kaufmann, die mit ihrer Erscheinung alles für ein im deutschen Tischtennis noch nicht gesehenes Glamourgirl mitbringt, jetzt erst eigentlich richtig anfangen. "Das Abi war mir wichtig, aber erst durch den Wegfall der Schule sehe ich mich nun auch wirklich als Profi", spricht der erklärte Familienmensch von einer wegweisenden Phase der noch jungen Laufbahn.
Klares Ziel für die EM - und ein Plan B
Ziele existieren reichlich. Bei ihrem neuen Klub SV-DJK Kolbermoor will Kaufmann in der Bundesliga zur Rückkehr auf den Meisterthron beitragen, aber vorher bei der EM ihre Leistungen von Paris bestätigen. Nach den Olympia-Eindrücken wäre eine Einzelmedaille keine wirkliche Sensation mehr - und auch eines der besagten Ziele.
Ihre wundersame Reise verarbeitet Annett Kaufmann jedoch mit einer schon erstaunlichen Reife. Sogar einen Plan B hat der Serien-Junkie schon: "Wenn es mit dem Tischtennis nicht klappt, möchte ich Kriminalistik studieren."