Olympia

So ändert die Sporthilfe ihr Fördersystem für mehr Medaillen

Umverteilung, mehr Fokus auf Nachwuchs, Leistung und Individualität

Ein 4-3-3 für mehr Medaillen? So ändert die Sporthilfe ihr Fördersystem

Para-Kugelstoßer Kappel gewann nach Gold in Rio und Bronze in Tokio diesmal Silber.

Para-Kugelstoßer Kappel gewann nach Gold in Rio und Bronze in Tokio diesmal Silber. IMAGO/Pressefoto Baumann

"Eine großartige und tolle Zeit": Auch die frühere Weltklasse-Schwimmerin Franziska van Almsick schwärmt von den Olympischen und Paralympischen Spielen diesen Sommer in Paris. Neben dem besonderen Flair und einer begeisternden Gastgeberkultur "haben die Franzosen auch sportlich den Schwung genutzt", sagt die 46-Jährige. Das Ergebnis: Platz 5 im Medaillenspiegel für die Grande Nation mit 16 goldenen und 64 Medaillen insgesamt.

Zum Vergleich: Deutschland belegte mit zwölf Siegen und 33 Medaillen nur den zehnten Rang in der Nationenwertung. "Das ist nicht unser Anspruch", bekräftigt auch Karin Orgeldinger (56) die bereits vielstimmig erklärte Unzufriedenheit. Orgeldinger ist seit Ende 2021 bei der Sporthilfe Vorständin für den Bereich Athletenförderung und sitzt an diesem Dienstag in Frankfurt neben van Almsick, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Sporthilfe.

Neue Struktur auch für den Parasport - Aktive "von Anfang an eingebunden"

Beide wollen "die Rahmenbedingungen" verbessern, einen Teil zum anvisierten Aufschwung im deutschen olympischen Sport beitragen. Wie das gelingen soll? Mit einem über drei Jahre erarbeiteten neuen Fördersystem, das zum 1. Januar 2025 in Kraft tritt und künftig nur noch digital über eine App abgewickelt wird.

Die neue Struktur gilt auch für den nicht-olympischen, den Gehörlosen- und den Parasport, der ebenso wenig mit den Resultaten in Paris zufrieden sein kann, wie Nico Kappel (29) versichert. 14-mal Gold und 49 Medaillen insgesamt holte Team D bei den Paralympics und belegte damit Platz elf im Medaillenspiegel.

Talent-, Potenzial-, Top- und Alumni-Team im 4-3-3-System

Para-Kugelstoßer Kappel gewann nach Gold in Rio und Bronze in Tokio diesmal Silber und begleitet in Frankfurt neben den aktiven Olympia-Athletinnen Lea Krüger (28, Fechten) und Laura Nolte (25, Bob) die Vorstellung des neuen Fördersystems. Eine Stärke laut Krüger: "Wir wurden von Anfang an eingebunden und konnten darlegen, was wir konkret benötigen."

Neben dem Fokus auf Individualisierung liegen laut Orgeldinger Schwerpunkte auf der Nachwuchsförderung und einer stärkeren Leistungsorientierung. Zudem ist die Förderung ehemaliger Athletinnen und Athleten erstmals fester Bestandteil der Förderstruktur.

100 plus eventuell 200 Euro monatlich für den Nachwuchs

Die Ehemaligen verkörpern im neuen 4-3-3-System als so genanntes Alumni-Team eins von vier zu fördernden Teams. Die weiteren heißen Talent-Team, Potenzial-Team und Top-Team. Damit habe man sich ein wenig von der Kaderstruktur des DOSB gelöst, so Orgeldinger.

Die Team-Mitglieder werden in drei Bereichen unterstützt: finanziell, durch Kompetenzförderung (Ausbildung und Beruf, mentale und körperliche Gesundheit, ökologische und gesellschaftliche Verantwortung, Medien- und Vermarktungskompetenz, Steuern und Recht) sowie durch Partner- und Serviceangebote in den Bereichen Versicherungen, Mobilität, Telekommunikation und Gesundheit.

Bei mir waren es damals 50 Mark, aber gleichzeitig auch der Einstieg in die Sporthilfe-Familie. Ich war dann Teil von etwas Großem, wo alle meine Vorbilder drin waren.

Franziska van Almsick

Die zweite "Dreierkette" befindet sich innerhalb der finanziellen Förderung. Sie ist unterteilt in eine Grundförderung, eine situative Förderung sowie Individualbausteine und eine Leistungsförderung. Mitglieder im Talent-Team bekommen beispielsweise künftig 100 Euro monatliche Grundförderung und eventuell 200 Euro Leistungsförderung monatlich. Keine besonders hohen Beträge, die dennoch einen großen Effekt erzielen können, meint van Almsick.

"Das erste verdiente Geld vergisst man nicht. Bei mir waren es damals 50 Mark, aber gleichzeitig auch der Einstieg in die Sporthilfe-Familie. Ich war dann Teil von etwas Großem, wo alle meine Vorbilder drin waren. Es war eine große Motivation, in diesem Kreis dabeizubleiben", blickt die zehnmalige Olympia-Medaillengewinnerin auf ihre Förderanfänge 1991 zurück.

Laura Nolte (re.) wurde mit Deborah Levi 2022 Olympiasiegerin im Zweier-Bob.

Laura Nolte (re.) wurde mit Deborah Levi 2022 Olympiasiegerin im Zweier-Bob. IMAGO/USA TODAY Network

Umverteilung zu Lasten der Sportförderstellen-Inhaber bei Bundeswehr und Bundespolizei

Da das Budget der Sporthilfe, die sich nur zu etwas mehr als einem Viertel aus öffentlichen Mitteln und sonst privatwirtschaftlich finanziert, nicht gestiegen ist, wird die stärkere Nachwuchsförderung nur durch eine Umverteilung der Gelder möglich. Die wiederum geht vor allem zu Lasten der Athletinnen und Athleten mit Sportförderstellen bei der Bundeswehr oder der Bundespolizei, die sie finanziell absichern.

"Unser Nachwuchs ist wichtig, steht meistens kaum in der Öffentlichkeit und hat wenig Chancen auf Sponsoren. Für den Nachwuchs verzichten wir gerne auf ein Teil der Förderung, auch wenn wir uns irgendwann einen Ausgleich dafür wünschen", sagt Bob-Olympiasiegerin Nolte, die bei der Bundeswehr beschäftigt ist.

Eine Spitzenkraft kann auf maximal 2750 Euro monatlich kommen

Konkret gibt es bei einer Sportförderstelle künftig jeweils 150 Euro weniger Grundförderung, im Potenzial-Team bleiben 150 Euro, im Top-Team 250 Euro. Ohne Sportförderstelle bekommen Athletinnen und Athleten 700 respektive 800 Euro Grundförderung. 250 Euro monatliche Altersvorsorge des Innenministeriums kommen on top.

Eine Spitzenkraft aus dem Top-Team kann laut Orgeldinger über die Leistungsförderung, Prämien und weitere Bausteine künftig auf maximal 2750 Euro an monatlichen Fördergeldern kommen. Eine etwaige Besteuerung hängt von der individuellen Veranlagung ab. Für die Ehemaligen kann die Förderung bis zu 500 Euro monatlich betragen und Studienstipendien enthalten.

alle Videos in der Übersicht

"Individualität in der Förderung ist international schon Standard und ein großer Schwerpunkt des neuen Fördersystems. Zudem geht es um die wichtige soziale Absicherung von der Jugend bis in die Zeit nach der Karriere", sagt Säbelfechterin Krüger. Ihren Spitzensport sowie ihr Jurastudium, das sie Ende des Jahres mit dem ersten Staatsexamen abschließen möchte, hat sie sich unter anderem durch ein über die Sporthilfe vermitteltes Stipendium der Deutschen Bank finanziert.

Schwäche im System rund um die Goldprämie noch nicht gelöst

Die Sporthilfe will durch ihr neues Fördersystem ihren Beitrag zum deutschen Aufstieg in den Medaillenspiegeln leisten. Neben der Tatsache, dass die Stiftung hart um ihr tendenziell eher sinkendes Budget kämpfen muss, gibt es weiterhin Schwächen sowie gefühlte und echte Ungerechtigkeiten in der Förderung, die in naher Zukunft behoben werden sollten.

Während der diesjährigen Sommerspiele beschwerten sich die Kanu-Olympiasieger Max Rendschmidt und Tom Liebscher-Lucz im kicker-Interview unter anderem über die Rahmenbedingungen der Goldprämie.

20.000 Euro werden von der Sporthilfe je olympische und paralympische Goldmedaille gezahlt, bei Mannschaftserfolgen pro Teilnehmer. Neben der als zusätzliche Vorbereitungsförderung 18 Monate vor Olympia gezahlten Elite-Plus-Förderung fällt nach einem Olympiasieg im ersten Jahr allerdings auch die reguläre Elite-Förderung weg.

Auch Doppel-Olympiasieger erhalten nur eine Goldprämie

Vor allem, um so die Mittel für die Goldprämien zu generieren, erklärt Orgeldinger. Laut Rendschmidt und Liebscher-Lucz blieben ihnen nach Besteuerung dann aber nur rund 5000 Euro von der Prämie übrig.

Zweiter Kritikpunkt: Auch Doppel-Olympiasieger erhalten nur eine Goldprämie. Laut Orgeldinger basiere diese Regelung vor allem auf Fairness-Aspekten gegenüber Sportarten, in denen nur maximal eine Goldmedaille zu gewinnen sei. Einerseits einleuchtend, andererseits, ebenso mit Blick auf eine gerechte Verteilung, sollten die wenigen Mehrfach-Olympiasieger für ihre außergewöhnlichen Erfolge auch höhere Prämien bekommen.

In den Bereichen Trainer und Sportstätten gibt es großen Nachholbedarf

Am Ende ist es, wie so oft, eine Frage des Geldes. Das fehlt für größere Sprünge nicht nur der Sporthilfe, sondern an vielen Stellen innerhalb der deutschen Spitzensportförderung. Im Leistungsdreieck Sportler, Trainer und Sportstätte kommt es nicht nur auf die Aktiven an, um die sich die Sporthilfe kümmert.

Gerade bei den (finanziellen) Bedingungen für hochqualifizierte Trainerinnen und Trainer, die oft ins Ausland abwandern, sowie den Sportstätten, angefangen bei öffentlich zugänglichen Plätzen für den Nachwuchs, besteht hierzulande großer Nachholbedarf.

Nur wenn es auch in diesen Bereichen signifikant vorangeht, kann es eventuell etwas werden mit auch sportlich erfolgreichen Olympischen und Paralympischen Spielen in Deutschland. Diese Vision treibt jedenfalls auch van Almsick an, sich weit nach ihrer aktiven Karriere zu engagieren

Carsten Schröter-Lorenz

Die deutschen Goldmedaillengewinner bei den Paralympics in Paris