Neben zahlreichen sehr schweren Stürzen in diesem Jahr, in denen auch Topfahrer wie Wout van Aert, Jonas Vingegaard, Remco Evenepoel oder Primoz Roglic verwickelt waren, gab es zuletzt auch wieder tödliche Stürze. Im Juli war der Norweger Andre Drege bei der Österreich-Rundfahrt nach einem Sturz auf der Abfahrt vom Großglockner ums Leben gekommen. Bei der WM in Zürich starb die Schweizer Nachwuchsfahrerin Muriel Furrer. Im Jahr zuvor stürzte der Schweizer Gino Mäder bei der Abfahrt vom Albulapass bei der Tour de Suisse tödlich.
Bisher gibt es vom Weltverband darauf wenig Antworten, wie die Sicherheit im Peloton nachhaltig erhöht werden kann. Die Debatte war bereits im Frühjahr hochgekocht. Immer wieder wird dabei auch der technische Fortschritt kritisch unter die Lupe genommen. Bremsen die Fahrer durch die viel effektiveren Scheibenbremsen später als früher? Erhöhen sie damit Risiko wie Geschwindigkeit?
Aldag: "Das Material ist schneller geworden"
"Ich glaube, dass der Aufwand, der jetzt für Sicherheit betrieben wird, viel höher ist, als er früher war. Aber am Ende ist es trotzdem noch viel weniger sicher als früher", sagte Rolf Aldag im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Das Material ist schneller geworden, was grundsätzlich erst mal nicht für Sicherheit sorgt. In den Abfahrten sind die Spitzengeschwindigkeiten nun zehn bis fünfzehn km/h höher."
Als Beispiel nennt der Sportdirektor des deutschen Teams Red Bull-Bora-hansgrohe die Abfahrt beim Tourmalet. Da seien die Fahrer früher mit knapp 100 km/h runtergefahren. Jetzt seien regelmäßig 120 km/h auf den Radcomputern.
"Alles, was zählt: schneller, höher, weiter"
Der zuletzt ins Spiel gebrachten Idee, das Tempo bei manchen Rennen zu reduzieren, steht Aldag skeptisch gegenüber. "Es ist ein Weg, mit dem ich mich erst mal anfreunden müsste. Wie fast überall im Leben ist auch bei uns gerade alles, was zählt: schneller, höher, weiter. Die Fahrer zu bremsen, wäre schon gewöhnungsbedürftig. Ich habe da leider keine Lösung, aber ich könnte mir vorstellen, dass man langfristig auf mehr Rundstrecken endet", sagte der 56-Jährige.

Solche Bilder gehören im Radsport zum Alltag. IMAGO/Belga
Klar ist aber auch, dass es tödliche Stürze schon immer gab. Während Aldags aktiver Zeit kamen etwa Fabio Casartelli und Andrey Kivilev ums Leben. Den Sturz von Casartelli (1995) bei der Tour de France hatte Aldag selbst sogar hautnah erlebt und den Kollegen liegen sehen. Die Etappe wurde damals zu Ende gefahren, obwohl die Fahrer um das Schicksal des Italieners wussten, "was natürlich im Kopf der helle Wahnsinn ist". Kivilev verstarb 2003 aufgrund seiner schweren Kopfverletzungen, erst danach wurde die Helmpflicht eingeführt - übrigens gegen den Widerstand vieler Fahrer. Aldag sei es im Nachhinein "fast peinlich", sich zunächst geweigert zu haben.
Einige Maßnahmen wurden zuletzt immerhin ergriffen. Akustische und optische Warnhinweise wurden bei vielen Rennen ausgebaut. Die UCI führte testweise Gelbe Karten ein. Die Teams besichtigen zumindest bei den großen Rundfahrten schwierige Streckenabschnitte, um die Gefahrenlage besser einschätzen zu können. "Wenn 170 Fahrer wie eine Bullenherde auf eine Kurve zusteuern, ist das etwas ganz anderes", weiß aber auch Aldag um die Problematik, dass gerade bei solchen Abschnitten, alle Teams vorne fahren wollen.